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LSG Baden-Württemberg v. 29.4.2024 - L 1 U 2085/23

Anerkennung einer Corona-Infektion als Arbeitsunfall

Unabdingbare Mindestvoraussetzung für die Anerkennung einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 als Arbeitsunfall ist ein Kontakt mit einer Indexperson während einer versicherten, ggfs. betrieblichen Verrichtung. Eine Indexperson ist eine Person, die nachweislich bereits vor dem Versicherten mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert war. Eine solche vorhergehende Infektion kann in der Regel nur durch einen positiven PCR-Test, unter Umständen auch nur durch einen Schnelltest, nachgewiesen werden. Dass die vermeintliche Indexperson vor dem Kontakt unspezifische Symptome gezeigt hatte, reicht nicht aus. 

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine nachgewiesene Corona-Infektion einen Arbeitsunfall darstellt. Der 1966 geborene Kläger ist als Montierer in der Maschinenbau- und Betriebstechnik der M1 AG beschäftigt. Im März 2021 wurde der Kläger mittels PCR-Test positiv auf Covid-19 getestet. Er erkrankte mit den Symptomen einer Corona-Infektion und litt später an dem sog. Long-Covid-Syndrom.

Wie schon zuvor das SG lehnte nun auch das LSG eine Anerkennung der Infektion des Klägers als Arbeitsunfall ab. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die mit PCR-Test im März 2021 nachgewiesene Covid-19 Infektion als Arbeitsunfall anerkannt wird. Der Senat kann nicht feststellen, dass sich der Unfall (Infektion mit dem Covid-19-Virus mit behandlungsbedürftigen Symptomen) bei der versicherten Tätigkeit und nicht im privaten Bereich ereignet hat.

Bei der Infektion mit dem Coronavirus handelt es sich zwar um einen "Unfall", da auch eine bakterielle oder virale Infektion ein Unfallereignis im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII darstellen kann. Die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall scheitert aber daran, dass nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls, also in dem Moment, in dem er sich mit dem Coronavirus infizierte, einer Verrichtung nachging, die der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Denn es ist nicht ermittelbar, bei welchem Ereignis sich der Kläger mit Covid-19 infiziert hat.

Unabdingbare Mindest- und Ausgangsvoraussetzung für ein feststellbares, konkretes „Unfallereignisses“ im Sinne eines Arbeitsunfalls durch eine erlittene (bakterielle oder wie hier) virale Infektion ist, dass der Betroffene im Rahmen einer versicherten Verrichtung im engen zeitlichem Zusammenhang mit der Infektion persönlichen Kontakt mit einer/m nachweisbar zeitlich vor dem Betroffenen infizierten Person (sog. Indexperson) hatte.

Es reicht hingegen nicht aus, die erhöhte Gefahr einer Einwirkung auf den Körper festzustellen oder Wahrscheinlichkeiten einer privaten oder beruflichen Ansteckung gegeneinander abzuwägen, sondern es bleibt bei dem Grundsatz, dass für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls eine konkrete Einwirkung gesichert festgestellt werden muss.

Grundsätzlich ist ein intensiver persönlicher Kontakt innerhalb von etwa zwei Wochen vor dem Eintritt der Erkrankung mit einer mit dem Corona-Virus infizierten Person (sog. Indexperson) geeignet, eine Infektion mit dem Corona-Virus auszulösen. Der Kontakt mit einer Person mit unspezifischen Erkältungssymptomen ist nicht ausreichend.

Hier ist ein Kontakt mit einer Indexperson im Vorfeld der Infektion des Klägers nicht feststellbar.

Nicht ausschlaggebend sind in diesem Zusammenhang die vom RKI entwickelten Maßstäbe zur Bestimmung von engen Kontaktpersonen mit erhöhtem Infektionsrisiko. Diese Maßstäbe bewerten das Risiko einer (erfolgten) Übertragung als Voraussetzung für eine mögliche Isolierung und haben bzw. hatten daher in erster Linie eine präventive Funktion, um weitere Infektionen möglichst im Vorfeld zu verhindern. Sie sind hingegen nicht geeignet, um aus einer ex post Perspektive gesicherte Infektionsketten festzustellen.

Zu Gunsten des Klägers greifen auch keine Beweiserleichterungen.

Die Voraussetzungen des sog. prima-facie-Beweises liegen nicht vor. Im Rahmen einer weltweiten Pandemie mit Millionen erkrankter Menschen, ist es regelmäßig nicht so, dass der äußere, insbesondere zeitliche Zusammenhang eine Infektion am Arbeitsplatz nahelegt, nicht versicherte Umstände hingegen nicht vorhanden sind oder fernliegen.

Es fehlt also bereits an einem typischen Geschehensablauf, der die Infektion typischerweise einer betrieblichen Verrichtung zuordnet. Dass sich der Kläger bei einer betrieblichen Verrichtung angesteckt hat, ist möglich, liegt aber typischerweise nicht näher als eine Infektion im außerberuflichen Bereich.

Die den Kläger treffenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen zudem weder eine Beweislastumkehr noch die Annahme eines Beweisnotstandes und eine daraus abzuleitende Notwendigkeit zu Beweiserleichterungen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.06.2024 14:18
Quelle: Justiz Baden-Württemberg online

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