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Inflationsfolgen treffen Insolvenzverfahren: Zweite Chance wird immer seltener

München. 9. Juli 2024. Die Auswirkungen der Inflation und des hohen Zinsniveaus der letzten beiden Jahre spiegeln sich deutlich in der aktuellen Insolvenzlandschaft wider. Laut einer Analyse der Unternehmensberatung Falkensteg stieg die Zahl der Insolvenzen von Großunternehmen (Umsatz über 10 Mio. Euro) im ersten Halbjahr 2024 um 41 Prozent auf 162. Gleichzeitig sank die Erfolgsquote bei Sanierungsversuchen.

Von 96 Verfahrenslösungen endeten 40 mit einer Betriebsschließung oder Masseunzulänglichkeit – ein Anstieg von 43 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Damals mussten nur 28 Unternehmen schließen, während 67 eine zweite Chance erhielten.

„Die Rettung von Unternehmen aus der Insolvenz gestaltet sich zunehmend komplexer. Hohe Zinsen machen den Erwerb insolventer Firmen teurer oder unattraktiv. Ferner schrecken unsichere Umsätze aufgrund der allgemeinen Wirtschaftslage potenzielle Investoren ab“, erklärt M&A-Experte Jonas Eckhardt, Partner der Unternehmensberatung Falkensteg.

Im ersten Halbjahr 2024 gab es 56 erfolgreiche Verfahrenslösungen in Form eines Unternehmensverkaufs oder einer Insolvenzplanlösung. Der Fünfjahresdurchschnitt liegt allerdings bei rund 63 Unternehmen. Besonders betroffen sind Automobilzulieferer und der Maschinenbau. In diesen Industriezweigen lagen die positiven Ausgänge um ein Drittel unter dem Durchschnitt. In den Branchen Fashion und Einzelhandel verdoppelten sich die Betriebsschließungen im Vergleich zu den letzten fünf Jahren.

Eckhardt betont die Notwendigkeit umfassenderer operative Sanierungen statt reiner Notfallmaßnahmen: „Ein reines Ansanieren reicht nicht mehr aus, wenn es an Käufern mangelt, aber eine Unternehmensfortführung vorteilhaft erscheint. Das Sanierungswerkzeug der Insolvenzordnung muss ohne Scheuklappen Anwendung finden. Will man einen Investor finden, sind Organisationsstrukturen und Mannschaftstärke schon im Verfahren an die veränderten Marktverhältnisse und -positionierung anzupassen. Die Reduzierung des Insolvenzverfahrens auf eine reine bilanzielle Restrukturierung durch Schuldenschnitt greift zu kurz. Das ist heute mit dem Instrument des Starug auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens umsetzbar.“

Insolvenz-Normalität 2024: Großpleiten schießen um 41 % hoch – besonders betroffen Immobilienbranche, Automobilzulieferer, Einzelhandel, Gesundheitswesen, Metallwarenhersteller, Modeunternehmen und Maschinenbauer

Die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie, ein stotternder Konjunktur-Motor, geopolitische Spannungen, verschärfte Finanzierungsbedingungen und branchenspezifische Herausforderungen sind die Hauptgründe für den Anstieg der Insolvenzen bei den Großunternehmen im ersten Halbjahr 2024. Die Antragszahlen kletterten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 41 Prozent von 115 auf 162. Lediglich 2020 gab es mit 173 Fällen mehr Großinsolvenzen in den vergangenen zehn Jahren.

Jonas Eckhardt prognostiziert, dass dieser Trend langfristig anhalten wird: „Viele Unternehmen müssen sich wandeln, um in der Dynamik des internationalen Handels bestehen zu können. Doch übermäßige Regulierung, hohe Energiepreise und Steuern, mangelhafte Infrastruktur und unzuverlässige Förderprogramme bremsen die erforderliche Transformation. Deutschland ist aktuell zu träge. Das zeigt sich in den wachsenden Insolvenzzahlen.“

Die Auswirkungen zeigen sich branchenübergreifend, wobei der Zeitpunkt des Eintretens variiert. Die Pleitezahlen haben im Einzelhandel und bei Modeunternehmen bereits vergangenes Jahr angezogen. Aktuell stabilisieren sich die Zahlen auf hohem Niveau. Im produzierenden Gewerbe gewinnt sie an Dynamik. Besonders der Maschinenbau, traditionell eine Vorzeigebranche, kämpft mit sinkender Auslastung und rückläufigen Auftragseingängen. Die Metallwarenhersteller, oft ein Frühindikator für weitere Branchen, verzeichneten bereits einen Anstieg der Insolvenzen um 45 Prozent. Auch Zukunftsbranchen bleiben nicht verschont. Die Automobilzulieferer sind alarmiert, da die Elektromobilität weit hinter den erhofften Volumina zurückbleibt und sich von einer Wachstumschance zu einem finanziellen Risiko entwickeln könnte.

Besonders betroffen waren in den ersten sechs Monaten die Immobilienbranche (30 Großinsolvenzen / +233 % gegenüber Vorjahreszeitraum), die Automobilzulieferer (20 / +66,7 %), der Einzelhandel (18 / 0 %), das Gesundheitswesen (17 / 30,8 %), Metallwarenhersteller (16 / 45,5 %), Modeunternehmen (14 / -22 %) und Maschinenbauer (13 / +44,4 %).

Im weiteren Jahresverlauf werden sich die Unternehmen mit zusätzlichen finanziellen Herausforderungen konfrontiert sehen. Das hohe Zinsniveau verteuert Refinanzierungen, sofern Banken überhaupt bereit sind, Finanzierungen zu gewähren. Zusätzlich steigen die Personalkosten. Die IG BCE hat bereits mir knapp sieben Prozent Lohnsteigerung vorgelegt, die IG Metall will folgen. „Die Insolvenzzahlen werden in diesem Jahr um mindestens 40 Prozent über dem Vorjahresniveau liegen – ein Trend, der voraussichtlich auch 2025 anhalten wird“, erwartet Jonas Eckhardt.

Insolvenzanträge

Umsatz ab 10 Mio. Euro 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Vergleich zum Vorhalbjahr 2024/2023

1. HJ 1. HJ 1. HJ 1. HJ 1. HJ 1. HJ 1. HJ in %
alle Branchen 83 76 173 75 105 115 162 40,9
davon
Automotive 10 2 28 6 10 12 20 66,7
Einzelhandel 1 10 30 10 4 18 18 0,0
Fashion 2 9 31 6 3 18 14 -22,2
Gebäude/Immobilien 5 4 9 6 20 9 30 233,3
Gesundheitswesen 3 1 8 10 4 13 17 30,8
Maschinen-/Anlagenbau 11 8 13 11 12 9 13 44,4
Metallwaren 8 4 18 9 10 11 16 45,5
Möbel 5 1 8 2 6 10 9 -10,0
Konsumgüter (Verbrauch) 10 16 17 12 9 10 11 10,0

Verfahrensausgänge
Umsatz ab 10 Mio. Euro 2020 2021 2022 2023 2024 Vergleich zum Vorhalbjahr 2024/2023
1. HJ 1. HJ 1. HJ 1. HJ 1. HJ in %
alle Branchen 88 119 88 95 96 1,1
davon pos 50 93 61 67 56 -16,4
davon neg 38 26 27 28 40 42,9



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.07.2024 08:49

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